Meine Gedanken zu “Das ist so typisch deutsch” von Serdar Somuncu
Beitrag vom 18.09.15
Schönen guten Abend,
seit dem gestrigen Tag habe ich vor, über die Kolumne von Serdar Somuncu in der Wirtschaftswoche zu schreiben. Allerdings scheint dies genauso schwierig wie das Verständnis des Textes an sich.
Sicherlich kennt der ein oder andere Serdar Somuncu und auch seine Art der Comedy, wie er sich mit oft sehr unbequemen Themen auseinandersetzt. Auf den Text “Das ist so typisch deutsch” bezogen, denke ich die vielleicht drei wichtigsten Thesen heraus gelesen zu haben.
1) In der heutigen Zeit bringt es nichts, nur in Extremen zu denken (Befürworter vs. Gegner von Flüchtlingen)
2) Es ist notwendig, sich mit einem Thema angemessen auseinander zu setzen und eine eigene Meinung zu bilden
3) Am schlimmsten sind die Personen, die nur einem Trend hinterherlaufen, ohne aus voller Überzeugung dahinter zu stehen, auch wenn dieser noch so gut gemeint ist
Im kommenden Verlauf werde ich zu diesen drei Thesen eigene Stellung beziehen.
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1) In der heutigen Zeit bringt es nichts, nur in Extremen zu denken (Befürworter vs. Gegner von Flüchtlingen)
Auch ich habe diesen Gedanken immer mal wieder geäußert, wie zu sehen an meinem vorletzten Artikel. In der heutigen Zeit macht es mehr und mehr den Anschein, dass nur extreme Sichtweisen wahrgenommen werden. Wer nicht dafür ist, ist direkt dagegen. Bereits nach 09/11 hat eine ähnliche Sichtweise die US-Außenpolitik unter George W. Bush ausgezeichnet. Der Begriff “Schurkenstaat” ist in dieser Hinsicht vermehrt aufgekommen.
Umso weniger hilft jedoch bei der aktuellen Flüchtlingskrise ein pures dualistisches Verständnis der eigenen Umwelt und darüber hinaus. Es kann nicht der entscheidende Ansatz sein, immer nur in Extremen zu denken. Die Welt besteht nun mal nicht nur aus “Gut” und “Böse” oder aus “Schwarz” und “Weiß”. Es gibt auch die Mitte zwischen beiden Extremen.
Im Zusammenhang damit gibt es in Deutschland eben auch Bürger, welche, vielleicht aus ganz unterschiedlichen Gründen, sich noch nicht, oder gezielt nicht, der einen oder anderen Seite angeschlossen haben. Vielleicht haben auch solche Menschen gewisse Zukunftsängste, z.B. auf den Beruf ausgelegt, und zeigen trotzdem eine gewisse Empathie für das Leid anderer Menschen, die aus Kriegsgebieten nach Deutschland geflohen sind.
Auf das Beispiel von München bezogen, wären solche Bürger diejenigen, die nicht direkt am Hauptbahnhof Beifall klatschend Nahrungsmittel verteilen, und trotzdem ihr Verständnis für das Leid von Flüchtlingen im eigenen Freundeskreis zur Sprache bringen.
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2) Es ist notwendig, sich mit einem Thema angemessen auseinander zu setzen und eine eigene Meinung zu bilden
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es noch viel mehr solcher Beispiele in Deutschland gibt. Es wäre vermessen, sich erstens dieser Tatsache komplett zu verweigern und zweitens die Hintergründe nicht weiter zu betrachten. Es gibt diese “Mitte” und es ist wichtig, dass jeder Mensch für sich selbst, aus ganzer Überzeugung und nach Abwägung verschiedener Argumente, die Richtung festlegt. Genau diesen Schritt, so argumentiert Serdar Somuncu, ist jedoch nicht allen Bürgern gemein. Stattdessen laufen sie in das ein oder andere Extrem.
Auch ich sehe eine Gefahr darin, dass man sich mit einem gewissen Thema, wie dies auch allgemein aussehen mag, nicht angemessen auseinandersetzt und viel zu viel Einfluss akzeptiert. In unserer heutigen Gesellschaft unterstreichen wir in vielen Fällen das Glück, selbst über unser Schicksal entscheiden zu dürfen. Allerdings sollte weder eine gewisse Dummheit noch eine gewisse Faulheit oder ein Druck von außen einen jeden von eben diesem Privileg fernhalten dürfen.
Meiner Meinung nach trifft Sedar Somuncu mit dem folgenden Zitat den Nagel auf den Kopf:
“Die wichtigste Aufgabe, die wir in den nächsten Jahren in dieser Gott sei Dank immer vielfältiger werdenden Nation haben, ist es, nicht blind Zuneigung und Ablehnung zu verteilen, sondern das Abwägen zu lernen und Argumentationen zuzulassen. Nicht jeder Flüchtling, der kommt, ist per se gut und nicht jeder, der gegen die Unterwanderung des Abendlandes protestiert, ein Nazi.”
Was hier beschrieben wird, ist letztlich nichts anderes als das Verständnis, dass es in beiderlei Hinsicht immer schwarze Schafe gibt. Dort wo dualistisches Gedankengut herrscht, dort herrscht, so wie ich das sehe, auch immer mehr ein gewisses Schubladendenken. Wenn der positive Umgang mit Flüchtlingen das “Gute” darstellt, also nach Worten unseres Bundespräsidenten der klare Gegensatz zu “Dunkel-Deutschland”, dann, so die Implikation, ist jegliches Contra-Argument gleich der Beginn einer grundsätzlichen Ablehnung.
Wer erinnert sich nicht noch an die Reaktionen nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo. Nach dieser so widerlichen Attacke, ergab sich teilweise der Eindruck, dass sich auf einmal alle Muslime in der Welt unmissverständlich gegen diesen Anschlag zu Wort melden wollten, um nicht direkt in Generalverdacht zu kommen.
Es ist nicht nur in gewisser Hinsicht falsch, sondern auch traurig, dass es überhaupt zu solchen Äußerungen kommen muss. Genauso wenig ist die Aussage “(…) ich bin kein Nazi, aber” notwendig, um sich einer gewissen Kritik schon vor der Äußerung der eigenen Meinung zu entziehen.
Wenn wirklich in Schubladen gedacht wird, ja dann ist, in Worten Somuncus, eben jeder Flüchtling gut und jeder Deutsche ein Nazi. Diese Denkweise verschärft die gesamte Situation nur umso mehr, da sie ein notwendiges Abwägen implizit ausschließt. Und, wenn wir eine Sache in diesen Tagen auf keinen Fall gebrauchen können, dann ist es Gegner vs. Befürworter, die sich in einem Kampf an Argumenten das Leben gegenseitig schwer machen.
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3) Am schlimmsten sind die Personen, die nur einem Trend hinterherlaufen, ohne aus voller Überzeugung dahinter zu stehen, auch wenn dieser noch so gut gemeint ist
Wenn Herr Somuncu das Wort “Icebucketchallenge” in den Mund nimmt, weiß die Mehrheit, dass damit zuallererst eine sehr erfolgreiche Charity-Aktion aus dem letzten Jahr gemeint ist. Im letzten Jahr haben sich ganz normale Bürger oder Prominente für Betroffene der Krankheit ALS Eiswasser über den Kopf schütten lassen. Durch die sozialen Medien ist aus dem bloßen Gedanken schon schnell ein gewisser Trend geworden. Somuncu unterstellt dabei nicht jedem Teilnehmer, einfach dem Trend gefolgt zu sein, weil es gerade hip war, allerdings sieht er darin auch ein gewisses Problem.
Wenn keiner der Beteiligten genau weiß, wofür oder für wen diese Challenge durchgeführt wird, und einfach mitmacht, bleibt es weiterhin fraglich, ob der gute Zweck auch wirklich im Mittelpunkt steht.
Gerade im Zusammenhang mit den Flüchtlingen, sehe ich es ähnlich wie Serdar Somuncu. Es bringt gar nichts, wenn sich Personen für ein Thema einsetzen, aber den Grund nicht genau kennen. Wenn nicht der Zweck im Vordergrund steht, sondern einzig die Teilhabe an solch einem Event, dann ist es sehr fraglich, ob dies sowohl den Flüchtlingen als auch einem selbst etwas bringen wird.
Es geht nicht darum, dass z.B. eine Mitgliedschaft in einer NGO in Zweifel gezogen wird, nur sollte eine solche Entscheidung genau überlegt sein. Nur wenn eine gewisse Haltung mit der Handlung einhergeht, kann dies von nachhaltigem Erfolg sein.
Ein kurzfristiger Aufschrei von “Refugees welcome!” und ein kurzer Retweet bei Twitter selbst sind es nicht, die der Situation von Flüchtlingen in unserem Land wirklich von Nutzen sind. Ich selbst ertappe mich manchmal dabei, eben genau diesem zu erliegen. Wie schnell klickt man auf einen Retweet, ohne auch nur überhaupt einmal einen Blick auf den verlinkten Artikel geworfen zu haben.
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Zusammenfassend glaube ich, dass es Serdar Somuncu hier gelungen ist, zum Nachdenken anzuregen. Wenn ein provokanter Artikel dieses Ziel eher erreicht als ein bloß sachlicher und wenn dadurch sogar jüngere Leser der Wirtschaftswoche eher auf das Thema Flüchtlinge aufmerksam werden, dann ist, meiner Meinung nach, auch das hier benutzte Stilmittel das richtige.
Mich persönlich hat Serdar Somuncu zum Nachdenken gebracht. Dies braucht Deutschland in der aktuellen Situation weitaus mehr als ein unreflektiertes Folgen in das eine oder das andere Extrem.
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Quelle (Bild): Eigenes Copyright